Ich sitze zu Hause am Fenster und schaue in den Park hinaus. Es ist sonnig und kalt und sehr ruhig - ganz anders als ich es bis vor wenigen Tagen gewohnt war. Ich habe ja nicht nur den Ort und das Klima gewechselt - ich bin in einer neuen Welt gelandet. Lautsprecherdurchsagen mit Warnungen vor dem "Draußen sein", Warteschlangen vor dem Supermarkt, besorgte Telefonate mit Freunden und das Warten auf den Ablauf der eigenen Inkubationszeit …. strange world!
Vor etwa 2 Wochen habe ich noch Pläne geschmiedet für den Besuch von lieben Freunden am 14. März in Sidi Ifni, das Zimmer reserviert, die Tidenzeiten für die Strandspaziergänge rausgeschrieben, einen Besuch bei einer Freundin auf dem Land für uns und die Freunde verabredet etc. Unsere Freunde hatten - nach den ersten Meldungen über Covid19 in Italien - ihren Abflug ab Bergamo storniert und dafür ab München gebucht. Wir hatten natürlich so eine Idee, dass da etwas im Anzug war, was wir im Auge behalten sollten. Aber die Freude auf den Besuch hat uns wahrscheinlich Scheuklappen aufgesetzt, so dass wir nicht so recht glauben wollten, dass diese Welle auch uns erreichen sollte.
Im Laufe der nächsten Tage kamen die schlechten Nachrichten in immer schnellerer Folge, so dass wir am 12. März versuchten eine Fähre nach Deutschland für Ende März zu buchen. Die noch optimistisch versprochene Buchung kam über Stunden nicht. Am Abend teilte uns die völlig erschöpfte Mitarbeiterin des Reisebüros mit, dass alle Buchungsmöglichkeiten für Fähren nach Europa geschlossen waren. Selbst eine Buchung für den späten April war nicht möglich. Am Freitag, dem 13. waren wir uns dann mit unseren Freunden in Deutschland einig, dass es nicht sinnvoll wäre nach Marokko zu kommen. Wir buchten für uns einen Flug für den 17. März nach München, der dann in der Nacht - wie alle anderen Flüge von Marokko nach Deutschland auch - abgesagt wurde.
Unsere lange Reise nach Deutschland hatte begonnen, erst einmal im Kopf. Wir waren ja noch ganz darauf eingestellt, dass wir erst Ende April nach Hause fahren wollten. Doch in kleinen Schritten - Nachrichtensendung für Nachrichtensendung - reifte die Erkenntnis, dass wir jetzt wirklich Land gewinnen mussten. Ganz Marokko verfügt bei über 30 Millionen Einwohnern über ca. 250 Beatmungsplätze. Im Falle einer schwereren Erkrankung würden wir einerseits den Marokkanern zur Last fallen und der Weg nach Deutschland wäre versperrt. Ich meldete uns deshalb auf der Elefand-Seite des Auswärtigen Amtes an: Hallo uns gibt es hier in Marokko! Wir überlegten, ob wir mit dem Auto nach Deutschland fahren sollten, es gab Meldungen, dass man über die spanischen Enklave Ceuta noch nach Spanien kommen könnte. Doch die Nachrichten aus Spanien und Frankreich ließen uns dies wieder vergessen - mit dem Clio auf einer Strecke von 3500 km ohne Hotels, mit nur teilweise geöffneten Tankstellen und Restaurants - das würde eine gar zu anstrengende Reise werden. Die Alternative war, dass wir uns auf einen langen Aufenthalt in Marokko einrichten mussten, so dass wir für einen Großeinkauf ins gut 60 km entfernte Guelmim fuhren und unseren Lebensmittelbestand aufstockten. Wir hatten uns auch Gesichtsmasken und Desinfektionsmittel besorg
en können und verließen das Haus nur noch zu melancholischen Strandspaziergängen.
Zwei Tage später kam dann die erste Meldung, dass Deutschland seine Bürger nach Hause holen würde. Die dazu nötige Anmeldung beim Auswärtigen Amt gelang mir erst morgens gegen 5 Uhr, weil die Internetseite gnadenlos überlastet war.
Zu allem Unglück erhielten wir die Nachricht, dass unsere Fluggesellschaft einen Ersatzflug am Dienstag anbieten würde so spät, dass wir ihn auf keinen Fall erreichen konnten. Da haben zum ersten Mal meine Nerven geflattert.
Dann begann das Warten auf eine Nachricht. Wir nützen die Zeit und räumten das Haus auf, damit wir im Fall eines Falles gleich losfahren könnten. Am letzten Mittwoch teilte uns dann die Botschaft in einem "Landsleute-Rundbrief" mit, dass die Evakuierungsflüge bald kommen würden und wir uns innerhalb von 90 Minuten nach Aufruf am Flughafen einfinden sollten. Da es von Sidi Ifni nach Agadir gute 3 Stunden Fahrtzeit sind, buchten wir ein Hotel in Agadir und wollten am Donnerstag losfahren - schon ein wenig traurig gestimmt über diesen Abschied und auch in Sorge um die Zurückbleibenden. Am Abend kam dann die Nachricht, dass wir am Donnerstag um 16 Uhr am Flughafen sein sollten, für einen ungewissen Abflugtermin.
Die morgendliche Fahrt
an der Küste entlang nach Norden stimmte mich traurig - das Meer war an diesem Tag von perfekter Schönheit. Nach ein wenig Regen in der Nacht zuvor glitzerten in den Arganbäumen die Regentropfen.
Am Flughafen in Agadir trafen wir auf eine aufgeregte Menschenmenge, die auf die Mitarbeiter der Botschaft wartete: Golfspieler, Surfer, Rollstuhlfahrer, junge Familien und wir wenigen älteren Einzelreisenden. Die Mitarbeiter der Botschaft wurde von Freiwilligen unterstützt, die teilweise von der aufregenden Situation und ihrer Wichtigkeit so erschüttert waren, dass sie eigentlich völlig nutzlos waren. Ohne Information schob sich die Menge bei jeder Regung an dem improvisierten Schalter immer enger zusammen, es war heiß und Hiobsbotschaften machten die Runde. Der Luftraum sei gesperrt hieß es.
Zum Glück trugen wir Gesichtsmasken, so dass wir einigermaßen vor den "Tröpfchen" geschützt waren. Gegen 20 Uhr hatten wir mit Hilfe einiger freundlicher junger Surfer den Schalter erreicht, an dem wir unterschreiben mussten, dass wir die Kosten des Fluges bezahlen würden. Dann durften wir zum Ticketschalter, zum Zoll, zur Polizei und dann endlich in die Wartehalle. Da fanden wir Leidensgenossen aus England und Frankreich und natürlich viele Deutsche, die erschöpft auf das Kommende warteten. Gegen Mitternacht saßen wir dann wie die Heringe zusammengepfercht in einer TUI-Maschine. Die Mitreisenden befanden sich in einer Stimmung, die zwischen Apathie und Hysterie schwankte. Dazwischen schrien Kleinkinder und zankten sich manche unfreiwillige Nachbarn. Endlich waren wir in der Luft - in einem letzten Schwenk über Agadir sahen wir die Lichter unter uns verschwinden und tauchten ein in die schwarze Nacht über Marokko, Portugal, Spanien, Frankreich und endlich KÖLN. Ja, das war ein wenig schwer für uns zu schlucken, dass wir nicht ins heimatliche München fliegen konnten, aber irgendwann waren wir auch damit zufrieden.
Beim Aussteigen in Köln-Bonn gegen 4 Uhr morgens sahen wir die lange Reihe der stillgelegten Flugzeuge. Es gab keinerlei Gesundheitskontrolle, die Grenzpolizei ließ uns unbehelligt von irgendwelchen Fragen durch und der Zoll war gar nicht da. Hinter uns drängten schon die Evakuierten von den Kanarischen Inseln.
Wir suchten und fanden den Bahnhof, und schließlich auch einen ICE, der uns in weiteren 5 Stunden nach München brachte. Wir saßen alleine im Großraumwagen, der Zugbegleiter sprang panisch an uns vorbei, als er unsere Masken und das Flugticket sah. Später konnten wir den verängstigten Mann doch noch beruhigen, wir trennten uns friedlich.
In München war die Bahnhofshalle ruhig wie an einem Sonntagmorgen. Die Taxifahrt durch die Stadt zu unserer Wohnung verlief so zügig wie nie. Dann, endlich, unser Bett! Am späten Nachmittag bin ich noch zum Einkaufen gefahren, da wir ja nichts zu Essen und Trinken hatten. Da stand ich dann wieder vor dem Laden in einer langen Schlange. Seitdem habe ich das Haus nicht mehr verlassen. Wir wollen erst sicher sein, dass wir uns im Gedränge am Flughafen nicht infiziert haben. Schön war, dass so viele liebe Menschen unsere Heimreise in Gedanken begleitet haben und uns dann telefonisch oder per Mail begrüßten. So sind wir jetzt in der stillen Zeit - und hoffen dass wir bald, bald alle wieder froh aufeinander zugehen können, ohne Angst einander die Krankheit oder gar den Tod zu bringen. Meine besten Wünsche für uns Alle!