Montag, 3. Januar 2022

Aus einer anderen Perspektive






Europa ächzt unter der neuen Welle der Coronapandemie - Omikron beherrscht die Medien und wohl auch das Leben der Menschen. Gelegentlich wird darauf hingewiesen, dass in „Afrika“ alles viel schlimmer ist, weil dort zur Zeit gerade mal knapp 10 % der Bevölkerung schon mal eine Impfdosis bekommen hat.



Ich bin seit Mitte November in Marokko - es war nicht ganz einfach hierher zu kommen, weil Direktflüge ab Deutschland schon nicht mehr möglich waren. Ich hatte die vorgeschriebenen Impfnachweise, den nagelneuen PCR-Test und eine Art eidesstattlicher Ehrenerklärung am Flughafen Agadir in der Hand. Wir waren eine sehr kleine Schar, die da ausstieg. So schnell hat meine Einreise noch nie geklappt - nur diesen Ehrenzettel abgegeben und drin war ich. 



Wenige Tage nach unserer Einreise schloß Marokko seine Grenzen. Es gab noch einige Sonderflüge - aber wir wollten doch lieber hier bleiben in der Sonne, am Meer, in unserem kleinen Haus in Sidi Ifni. Sicherheitshalber hatte ich mir die Haare etwas kürzer schneiden lassen. Ich hatte schon so eine Ahnung, dass der geplante Heimflug ein wenig länger auf sich warten lassen würde. Unser Münchner Freund kam noch mit der letzten Fähre nach Tanger, wenige Stunden nach seiner Einreise drehte die nächste Fähre nach Süden wieder um.


Auch Sidi Ifni ist in der Corona-Zeit nicht verschont geblieben. Wie in Europa hatte man auch hier strenge Regeln erlassen und eine ambitionierte Impfkampagne gestartet. Schon in Januar 2021 begann das große Impfen - kostenlos für alle Bürger und Menschen mit ständigem Wohnsitz in Marokko. Marokko kaufte was es auf dem Impfstoffmarkt so gab. Trotzdem starben auch hier Menschen, auch in Sidi Ifni. 


Das Tourismusgeschäft ist weitestgehend zusammengebrochen, man versuchte wenigstens den einheimischen Tourismus zu fördern. Nach Aussagen marokkanischer Medien hat das Land in dieser Zeit ca. 8 Milliarden Euro an Einnahmen aus dem Tourismus verloren. 

Trotzdem, das Leben in meinem kleinen Ort wirkt ziemlich unverändert. Seit Wochen hat es in diesem Gebiet keine neuen Infektionen gegeben. Nur aus dem Norden hört man beunruhigende Zahlen, von Woche zu Woche steigen die immer noch niedrigen Infektionszahlen an. Besonders im Bereich um Casablanca fasst Omikron Fuß. Für Silvester wurden nächtliche Ausgangssperren verhängt - und wie in Deutschland werden die zögerlichen Bürger zum Impfen aufgerufen. Zum Boostern wird man per SMS aufgefordert, auch Touristen sollen wie die im Land lebenden Flüchtlinge aus den südlichen Ländern geimpft werden. Das läuft leider nicht reibungslos. Zur Zeit wird Astra Zeneka angeboten.



Angesichts einer gerade gestarteten Grippewelle fürchtet man, dass viele Kinder erkranken werden. Rund 76 % der impffähigen Bevölkerung sind zweifach geimpft - aber inklusive der Kinder sind 5,4 Millionen von 36 Millionen Einwohnern noch nicht geimpft - und darüber macht man sich hier natürlich Sorgen. Wie in Europa werden viele Pläne vorgelegt - aber leider ist die Bevölkerung nicht unbedingt kooperativ. Zwar sind in den letzten 2 Wochen mehr Menschen mit Maske vor Mund und Nase zu sehen. Aber die Standardtrageform ist leider die „Kinnbinde“. 



Nun warten wir .... Es gibt im Internet ausgezeichnete Information über die Situation, z.B. in der deutschsprachigen „Maghreb Post“ oder bei „Medias24„. Die pandemische Notlage ist bis Ende Januar verlängert worden und damit auch die Sperre der Fähren. Wir wollten nun doch endlich unser im März 2020 zurückgelassenes Auto wieder nach Deutschland bringen. Wetten, wie lange das nun noch warten muss, werden noch angenommen. 


Freitag, 19. Juni 2020

Couturissime

Was macht man an trüben Frühlingstagen? Ein Bummel durch die  Münchner Innenstadt gleicht einem Slalom zwischen immer neu aufschießenden Baustellen. Zum SALE-Shoppen hatte ich keine recht Lust - aber …… am Eingang der Hypo Kunsthalle lockte ein Schriftzug: Thierry Mugler - Couturissime! Von der Ausstellung hatte ich dank der schönen BR-Sendung Capriccio schon gehört und die Schlange vor dem Haus gehörte nicht zur Ausstellung sondern zum Klamottenladen nebenan.

Dank eines kleinen Rentner-Rabattes hatte ich keine Hemmungen - da musste ich rein.




Die Ausstellung wurde von dem kanadischen Museum of Fine Arts in Montreal produziert - unter der Leitung von Thierry-Maxime Loriot. Über Rotterdam war sie nun nach München gekommen. 

Leider war das hübsche Café immer noch geschlossen, aber ich war ja zum Schauen und nicht zum Schlemmen gekommen. Ich erinnerte mich an das Yves Saint Laurent Museum in Marrakech. Weil ich dort von der Handwerkskunst so begeistert war und YSL ganz und gar meinen Geschmack - wenn auch nicht die Leistungsfähigkeit meines Bankkontos - getroffen hatte, war ich erst ein wenig snobistisch eingestellt. Besser konnte das keinesfalls sein. Nun ja, besser vielleicht nicht, aber vollständig anders - das war eine neuer Planet.


Thierry Mugler, ein gebürtiger Straßburger ist mittlerweile 71 Jahre alt. Er hat sich leider jetzt darauf verlegt sich mit Hilfe von Bodybuilding und plastischer Chirurgie in eine Art Wrestling-Rentner zu verwandeln. Aber in seinen jungen kreativen Jahren hat er die Modewelt kräftig aufgemischt. Als Jugendlicher hatte er Balletttanz gelernt und dann Kostümdesign studiert. In den 70er Jahren eröffnete er eine erste Boutique in Paris. 




Schon bald arbeitete er mit Stars wie David Bowie, stattete Bühnenshows aus und inszenierte seine Modeschauen als exzentrische Happenings. Inspiriert wurde er durch Filme wie Metropolis, Wagneropern und Sciencefiction-Welten.






Er gestaltete Mode die sich weit auch vom elegantesten Alltag weg bewegte - hin zu fantastischen Welten in denen Frauen kühl, stark und klapperdürr sein sollten. Fotografen wie Newton, Ritt und Unwerth ließen sich von ihm inspirieren. In der Ausstellung hängen neben den  etwa 150 Figurinen mit Muglers Kreationen ca. 100 dazu korrespondierende Bilder.
Zum kommerziellen Erfolg trugen - wie bei vielen großen Modemarken - die Parfums bei - wie Angel oder Alien….

Bei Mugler liefen all die Supermodels, aber auch gelegentlich ein androgyner Schöner auf Highheels und - Überraschung: Ivana Trump (die erste Frau des ungeliebten Präsidenten).




Ab 2002 arbeitete er für wenige Jahre für Bühnenshows, z.B. für den Cirque du Soleil. Er drehte auch Musikvideos so wie schon früher für George Michael.

 Von Raum zu Raum steigerte sich meine Begeisterung für den kreativen Geist Muglers. Aber ebenso begeistert und voll Be-wunderung bin ich für die Handwerker, die diese Ideen real werden ließen.


Neben den "Kleidern", für die er beim Material zu ungewöhnlichen Materialien griff (z.B.Gummi, Metall, Venyl, Kristalle) und die die Körper oft mehr entblößten als bedeckten,  gab es auch kühle Schwarz-Weiß-Kostüme, die im Kontrast fast schon brav und tragbar wirkten. Da hätte mir manches gefallen.






Im letzten Raum der Ausstellung zeigt man Modelle aus der Kollektion "Les Insectes" von 1997. Hier hat er alle Grenzen der Schneiderkunst und der kommerziellen Modewelt überschritten. Das ist - denke ich -  einfach Kunst. Zum Glück war die Ausstellung am späten Vormittag nicht so gut besucht, so daß ich mir die einzelnen Objekte genau ansehen konnte. In Bewegung sieht das noch mal ganz  anders aus. - Spätestens hier hatte er mich am Haken. Ich bin gleich noch mal durch die Ausstellung gegangen. Leider hatte ich nicht gedacht, dass man fotografieren darf - ich hatte nur meine kleine Notkamera dabei.











Für das pièce de résistance der Ausstellung muß ich daher auf eine Bild aus dem Internet zurückgreifen - credit Fahrenheit Magazine - dem war meine kleine Knipse nicht gewachsen. La Chimère aus der Winterkollektion 97/98 hat die Handwerker ungemein gefordert. Zusammen mit dem südafrikanischen Korsettmacher Mr. Pearl und dem Industriedesigner Jean-Jaques Urcun arbeiteten etwa 20 Menschen an der Erschaffung dieses Fabelwesens. Allein für die Stickerei - z.B. an den Schuppen - brauchte man 1000 Arbeitsstunden. Schließlich wurde es von dem damaligen Supermodel Yasmin Le Bon im Londoner Palladium präsentiert.

Aus dem Museum herauszugehen war für mich wie das Auftauchen aus der Tiefsee - noch ganz gefangen von den Geschöpfen, die ich dort unten gesehen habe.
Ob das Ganze political correct ist oder nicht - ich kann es nicht sagen. Das Frauenbild Muglers ist wahrscheinlich schon so in der Vergangenheit versunken wie es gotische Madonnen sind. Gerade darum kann ich seine Traumgestalten ansehen wie eine Oper aus dem 19.Jhd. Irreal und  doch wunderschön.
























Freitag, 22. Mai 2020

Mein interessanter Nachbar


Ich wohne unmittelbar neben einem sehr großen Friedhof. Das ist gar nicht schrecklich sondern eher angenehm. Der Friedhof ist im Frühling ein Blumenmeer - Vögel, Eichhörnchen und Spaziergänger fühlen sich dort wohl.



Wenn ich zur U-Bahn gehe wähle ich lieber den Weg durch den Friedhof als an seiner Außenmauer entlang neben einer sehr lauten Straße. Natürlich schaue ich dann auch auf die Grabsteine, die es hier in einem unglaublichen Variantenreichtum gibt.















Ein Grabstein ist mir besonders aufgefallen, weil er ägyptische Dekorationselemente aufweist.
Das Grab selbst ist nicht mehr erkennbar - nur die Stele mit der Bronzebüste ist erhalten.





Der Name Georg Ebers - 1837 bis 1898 - erschien mir seltsam vertraut. Beim Weitergehen dämmerte langsam aus der Tiefe meines Gedächtnisses ein Wort hervor: "Ebers-Papyrus"!







Natürlich, das hatten wir in der Vorlesung über die Geschichte der Medizin gehört! Dieser Papyrus ist die Hauptquelle unseres Wissens über die alte ägyptische Medizin.


Kolumne 37 über Magen- und Darmbeschwerden


Prof. Ebers hat ihn ca. 1872 auf einer seiner Ägypten-Reisen von einem koptischen Händler  gekauft, nachdem er die erste Zeile übersetzt hatte: "Anfang des Buches von den Krankheiten aller Glieder des Menschen". Er brachte den Papyrus nach Leipzig und übereignete ihn der Universitäts-bibliothek. Die über 18 m lange Rolle wurde im 16. Jhd. v.u.Z. verfasst. Sie besteht aus 108 Kolumnen (Textseiten).
Die Kapitelanfänge und die Mengen-angaben sind rot geschrieben, der Text ist in hieratischer Schrift verfasst, das ist die kursive Form der Hieroglyphen.

Leider hat der Papyrus den 2. Weltkrieg nicht ganz unbeschadet überstanden.
In Anbetracht seines Alters von rund dreieinhalb tausend Jahren ist er aber unglaublich gut erhalten.


Das Bild von Ebers Mutter Fanny, die aus einer vermögenden jüdischen Rotterdamer Familie stammte  -  wurde ca. 1826/27 von F.W.v.Schadow gemalt und ist im Besitz der Neuen Pinakothek in München




 Der in Berlin geborene Ebers verbrachte seine letzten Jahre in Tutzing und München. In Tutzing gehörte ihm das wunderschön am See gelegene heutige Midgard-Haus. Darum ist er - anders als seine Vorfahren - nicht in Berlin sondern in München gemeinsam mit seiner Gattin begraben. Wenn mich mein Weg an seiner letzten Ruhestätte vorbeiführt freue ich mich immer, dass ich ihn hier entdeckt habe.
























Quellen: Universitätsbibliothek Leipzig
Wikipedia
J.Thorwald: Macht und Geheimnis der frühen Ärzte

Dienstag, 12. Mai 2020

Ein Licht am Ende des Tunnels?



Mein Zeitgefühl ist dahin. Wenn man mich fragt wie lange ich nun schon aus Marokko zurück in Deutschland bin und mich fast nur in meiner Wohnung aufhalte, würde ich sagen: gefühlt ein halbes Jahr. Es sind aber 'nur' sieben Wochen. In der ersten Zeit kamen am Telefon noch die aufregenden Erzählungen über geglückte Heimreisen, dann sprachen alle von den Mühen ihres Hausarrestes. Besonders die Berufstätigen, die sich an das Arbeiten im 'home office' gewöhnen mussten, waren sehr erschöpft. Wie die Kaninchen auf die Schlange starrten wir alle auf die neuesten Zahlen: Neuinfektionen, Erkrankte, Todesfälle! Von den grauenhaften Bildern aus Norditalien geschockt hofften wir alle, dass Deutschland von einem solchen Geschehen verschont bleiben würde. Und so blieben wir brav zu Hause, besuchten niemanden, horteten Toilettenpapier und Nudeln. 


Spaziergängerin im Englischen Garten

Wie zum Hohn hatten wir den sonnigsten April aller Zeiten. Spazierengehen konnte ich schon, aber nur mit Mundschutz (dies war meine eigene Entscheidung).
Nachdem die schlimmsten Befürchtungen sich zum Glück nicht erfüllten verloren viele die Geduld. Unsere Lobbyisten und einige Politiker befeuerten in den TV-Sendungen das Gefühl es müsse schnell wieder auf 'normal ' umgeschaltet werden. 

Warten auf bessere Zeiten
Und so fing er an, der Wettlauf um die schnellste Lockerung aller Beschränkungen. Bayern - mein Bundesland - hat mit 341 die höchste Zahl von Infizierten pro 100.000 (Stand 12.5.20). In ganz Deutschland sind es 204, das nördliche Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ist mit 45/100.000 am wenigsten betroffen. So erscheint es mir als sinnvoll, dass in Bayern die Lockerungen etwas später kommen werden als in den anderen Teilen Deutschlands - auch wenn viele es nicht verstehen, dass in einem föderalen Staat unterschiedliche Regelungen möglich sein können.
Die schönste Sache für mich ist, dass ich MORGEN zum Friseur gehen darf - mit Maske und ohne den üblichen Kaffee- und Zeitungsservice - aber endlich werde ich die Wolle auf meinem Kopf los.
Schön ist auch, dass wir uns wieder mit Freunden treffen dürfen, wenn auch mit beschränkten Zahlen und immer mit aller Vorsicht - Abstand halten!

Alle Läden sind auf - aber die Bürger haben irgendwie die Lust am Einkaufen verloren, schließlich sind die wirtschaftlichen Auswirkungen der Seuche gewaltig. Zum Glück fallen die Menschen nicht in die absolute Armut. Eine Krankenversicherung haben natürlich alle Arbeitslosen und es gibt vielfältige Hilfen, für Firmen, Selbständige, Kurzarbeiter und Künstler. Die Schuldenberge, die da aufgebaut werden, werden noch unsere Enkel abzahlen dürfen.


all dies hat nicht stattgefunden!

Bis zum Ende des Monats sollen nach und nach die Restaurants und die Hotels geöffnet werden. Tierparks und Golfplätze sind auch schon offen. Nur für Kinos und Theater - und Bordelle - gibt es noch keine Ankündigung, wann es wieder los gehen kann.
Der größte Schock für Bayern war sicher, dass das Oktoberfest - das große Bierfest - wie alle anderen Volksfeste abgesagt wurde. Für mich ist das kein Verlust, aber die Münchner Hoteliers und Taxifahrer leiden da schon sehr. 

auch die Segler dürfen wieder aufs Wasser
Ja und nun - wie geht's mir dabei? Ich sehe mit Schrecken, dass viele Leute die Maskenpflicht beim Einkaufen sehr locker sehen: dass Kontaktsportarten wie Fußball wieder erlaubt sind; dass eine nicht unerhebliche Anzahl von rebellischen Bürgern ohne jede Vorsicht an Demonstrationen gegen die Freiheitseinschränkungen teilnimmt. Das norditalienische souveräne Gebiet Südtirol will für den Sommer den Tourismus auch aus Deutschland wieder erlauben. Auch Österreich, Kroatien und die Türkei wollen - wie so einige andere vom Tourismus abhängige Länder- wieder Gäste in ihren Hotels sehen. Es ist wie eine Wette, die wir miteinander abschließen. Wer gewinnt: die Mutigen oder das Virus? Wir werden es bald wissen - und ich hoffe für uns alle, dass meine hasenfüßige Besorgtheit nicht Recht bekommt.

Sonntag, 22. März 2020

Der lange Weg nach Hause

Ich sitze zu Hause am Fenster und schaue in den Park hinaus. Es ist sonnig und kalt und sehr ruhig - ganz anders als ich es bis vor wenigen Tagen gewohnt war. Ich habe ja nicht nur den Ort und das Klima gewechselt - ich bin in einer neuen Welt gelandet. Lautsprecherdurchsagen mit Warnungen vor dem "Draußen sein", Warteschlangen vor dem Supermarkt, besorgte Telefonate mit Freunden und das Warten auf den Ablauf der eigenen Inkubationszeit …. strange world!

Vor etwa 2 Wochen habe ich noch Pläne geschmiedet für den Besuch von lieben Freunden am 14. März in Sidi Ifni, das Zimmer reserviert, die Tidenzeiten für die Strandspaziergänge rausgeschrieben, einen Besuch bei einer Freundin auf dem Land für uns und die Freunde verabredet etc. Unsere Freunde hatten - nach den ersten Meldungen über Covid19 in Italien - ihren Abflug ab Bergamo storniert und dafür ab München gebucht. Wir hatten natürlich so eine Idee, dass da etwas im Anzug war, was wir im Auge behalten sollten. Aber die Freude auf den Besuch hat uns wahrscheinlich Scheuklappen aufgesetzt, so dass wir nicht so recht glauben wollten, dass diese Welle auch uns erreichen sollte.

Im Laufe der nächsten Tage kamen die schlechten Nachrichten in immer schnellerer Folge, so dass wir am 12. März versuchten eine Fähre nach Deutschland für Ende März zu buchen. Die noch optimistisch versprochene Buchung kam über Stunden nicht. Am Abend teilte uns die völlig erschöpfte Mitarbeiterin des Reisebüros mit, dass alle Buchungsmöglichkeiten für Fähren nach  Europa geschlossen waren. Selbst eine Buchung für den späten April war nicht möglich. Am Freitag, dem 13. waren wir uns dann mit unseren Freunden in Deutschland einig, dass es nicht sinnvoll wäre nach Marokko zu kommen. Wir buchten für uns einen Flug für den 17. März nach München, der dann in der Nacht - wie alle anderen Flüge von Marokko nach Deutschland auch - abgesagt wurde.

Unsere lange Reise nach Deutschland hatte begonnen, erst einmal im Kopf. Wir waren ja noch ganz darauf eingestellt, dass wir erst Ende April nach Hause fahren wollten. Doch in kleinen Schritten - Nachrichtensendung für Nachrichtensendung - reifte die Erkenntnis, dass wir jetzt wirklich Land gewinnen mussten. Ganz Marokko verfügt bei über 30 Millionen Einwohnern über ca. 250 Beatmungsplätze. Im Falle einer schwereren Erkrankung würden wir einerseits den Marokkanern zur Last fallen und der Weg nach Deutschland wäre versperrt. Ich meldete uns deshalb auf der Elefand-Seite des Auswärtigen Amtes an: Hallo uns gibt es hier in Marokko! Wir überlegten, ob wir mit dem Auto nach Deutschland fahren sollten, es gab Meldungen, dass man über die spanischen Enklave Ceuta noch nach Spanien kommen könnte. Doch die Nachrichten aus Spanien und Frankreich ließen uns dies wieder vergessen - mit dem Clio auf einer Strecke von 3500 km ohne Hotels, mit nur teilweise geöffneten Tankstellen und Restaurants - das würde eine gar zu anstrengende Reise werden. Die Alternative war, dass wir uns auf einen langen Aufenthalt in Marokko einrichten mussten, so dass wir für einen Großeinkauf ins gut 60 km entfernte Guelmim fuhren und unseren Lebensmittelbestand aufstockten. Wir hatten uns auch Gesichtsmasken und Desinfektionsmittel besorgen können und verließen das Haus nur noch zu melancholischen Strandspaziergängen.












Zwei Tage später kam dann die erste Meldung, dass Deutschland seine Bürger nach Hause holen würde. Die dazu nötige Anmeldung beim Auswärtigen Amt gelang mir erst morgens gegen 5 Uhr, weil die Internetseite gnadenlos überlastet war.

Zu allem Unglück erhielten wir die Nachricht, dass unsere Fluggesellschaft einen Ersatzflug am Dienstag anbieten würde so spät, dass wir ihn auf keinen Fall erreichen konnten. Da haben zum ersten Mal meine Nerven geflattert.

Dann begann das Warten auf eine Nachricht. Wir nützen die Zeit und räumten das Haus auf, damit wir im Fall eines Falles gleich losfahren könnten. Am letzten Mittwoch teilte uns dann die Botschaft in einem "Landsleute-Rundbrief" mit, dass die Evakuierungsflüge bald kommen würden und wir uns innerhalb von 90 Minuten nach Aufruf am Flughafen einfinden sollten. Da es von Sidi Ifni nach Agadir gute 3 Stunden Fahrtzeit sind, buchten wir ein Hotel in Agadir und wollten am Donnerstag losfahren - schon ein wenig traurig gestimmt über diesen Abschied und auch in Sorge um die Zurückbleibenden. Am Abend kam dann die Nachricht, dass wir am Donnerstag um 16 Uhr am Flughafen sein sollten, für einen ungewissen Abflugtermin.

Die morgendliche Fahrt an der Küste entlang nach Norden stimmte mich traurig - das Meer war an diesem Tag von perfekter Schönheit. Nach ein wenig Regen in der Nacht zuvor glitzerten in den Arganbäumen die Regentropfen.



Am Flughafen in Agadir trafen wir auf eine aufgeregte Menschenmenge, die auf die Mitarbeiter der Botschaft wartete: Golfspieler, Surfer, Rollstuhlfahrer, junge Familien und wir wenigen älteren Einzelreisenden. Die Mitarbeiter der Botschaft wurde von Freiwilligen unterstützt, die teilweise von der aufregenden Situation und ihrer Wichtigkeit so erschüttert waren, dass sie eigentlich völlig nutzlos waren. Ohne Information schob sich die Menge bei jeder Regung an dem improvisierten Schalter immer enger zusammen, es war heiß und Hiobsbotschaften machten die Runde. Der Luftraum sei gesperrt hieß es.

Zum Glück trugen wir Gesichtsmasken, so dass wir einigermaßen vor den "Tröpfchen" geschützt waren. Gegen 20 Uhr hatten wir mit Hilfe einiger freundlicher junger Surfer den Schalter erreicht, an dem wir unterschreiben mussten, dass wir die Kosten des Fluges bezahlen würden. Dann durften wir zum Ticketschalter, zum Zoll, zur Polizei und dann endlich in die Wartehalle. Da fanden wir  Leidensgenossen aus England und Frankreich und natürlich viele Deutsche, die erschöpft auf das Kommende warteten. Gegen Mitternacht saßen wir dann wie die Heringe zusammengepfercht in einer TUI-Maschine. Die Mitreisenden befanden sich in einer Stimmung, die zwischen Apathie und Hysterie schwankte. Dazwischen schrien Kleinkinder und zankten sich manche unfreiwillige Nachbarn. Endlich waren wir in der Luft - in einem letzten Schwenk über Agadir sahen wir die Lichter unter uns verschwinden und tauchten ein in die schwarze Nacht über Marokko, Portugal, Spanien, Frankreich und endlich KÖLN. Ja, das war ein wenig schwer für uns zu schlucken, dass wir nicht ins heimatliche München fliegen konnten, aber irgendwann waren wir auch damit zufrieden.


Beim Aussteigen in Köln-Bonn gegen 4 Uhr morgens sahen wir die lange Reihe der stillgelegten Flugzeuge. Es gab keinerlei Gesundheitskontrolle, die Grenzpolizei ließ uns unbehelligt von irgendwelchen Fragen durch und der Zoll war gar nicht da. Hinter uns drängten schon die Evakuierten von den Kanarischen Inseln.




Wir suchten und fanden den Bahnhof, und schließlich auch einen ICE, der uns in weiteren 5 Stunden nach München brachte. Wir saßen alleine im Großraumwagen, der Zugbegleiter sprang panisch an uns vorbei, als er unsere Masken und das Flugticket sah. Später konnten wir den verängstigten Mann doch noch beruhigen, wir trennten uns friedlich.


In München war die Bahnhofshalle ruhig wie an einem Sonntagmorgen. Die Taxifahrt durch die Stadt zu unserer Wohnung verlief so zügig wie nie. Dann, endlich, unser Bett! Am späten Nachmittag bin ich noch zum Einkaufen gefahren, da wir ja nichts zu Essen und Trinken hatten. Da stand ich dann wieder vor dem Laden in einer langen Schlange. Seitdem habe ich das Haus nicht mehr verlassen. Wir wollen erst sicher sein, dass wir uns im Gedränge am Flughafen nicht infiziert haben. Schön war, dass so viele liebe Menschen unsere Heimreise in Gedanken begleitet haben und uns dann telefonisch oder per Mail begrüßten. So sind wir jetzt in der stillen Zeit - und hoffen dass wir bald, bald alle wieder froh aufeinander zugehen können, ohne Angst einander die Krankheit oder gar den Tod zu bringen. Meine besten Wünsche für uns Alle!