Freitag, 22. Mai 2020

Mein interessanter Nachbar


Ich wohne unmittelbar neben einem sehr großen Friedhof. Das ist gar nicht schrecklich sondern eher angenehm. Der Friedhof ist im Frühling ein Blumenmeer - Vögel, Eichhörnchen und Spaziergänger fühlen sich dort wohl.



Wenn ich zur U-Bahn gehe wähle ich lieber den Weg durch den Friedhof als an seiner Außenmauer entlang neben einer sehr lauten Straße. Natürlich schaue ich dann auch auf die Grabsteine, die es hier in einem unglaublichen Variantenreichtum gibt.















Ein Grabstein ist mir besonders aufgefallen, weil er ägyptische Dekorationselemente aufweist.
Das Grab selbst ist nicht mehr erkennbar - nur die Stele mit der Bronzebüste ist erhalten.





Der Name Georg Ebers - 1837 bis 1898 - erschien mir seltsam vertraut. Beim Weitergehen dämmerte langsam aus der Tiefe meines Gedächtnisses ein Wort hervor: "Ebers-Papyrus"!







Natürlich, das hatten wir in der Vorlesung über die Geschichte der Medizin gehört! Dieser Papyrus ist die Hauptquelle unseres Wissens über die alte ägyptische Medizin.


Kolumne 37 über Magen- und Darmbeschwerden


Prof. Ebers hat ihn ca. 1872 auf einer seiner Ägypten-Reisen von einem koptischen Händler  gekauft, nachdem er die erste Zeile übersetzt hatte: "Anfang des Buches von den Krankheiten aller Glieder des Menschen". Er brachte den Papyrus nach Leipzig und übereignete ihn der Universitäts-bibliothek. Die über 18 m lange Rolle wurde im 16. Jhd. v.u.Z. verfasst. Sie besteht aus 108 Kolumnen (Textseiten).
Die Kapitelanfänge und die Mengen-angaben sind rot geschrieben, der Text ist in hieratischer Schrift verfasst, das ist die kursive Form der Hieroglyphen.

Leider hat der Papyrus den 2. Weltkrieg nicht ganz unbeschadet überstanden.
In Anbetracht seines Alters von rund dreieinhalb tausend Jahren ist er aber unglaublich gut erhalten.


Das Bild von Ebers Mutter Fanny, die aus einer vermögenden jüdischen Rotterdamer Familie stammte  -  wurde ca. 1826/27 von F.W.v.Schadow gemalt und ist im Besitz der Neuen Pinakothek in München




 Der in Berlin geborene Ebers verbrachte seine letzten Jahre in Tutzing und München. In Tutzing gehörte ihm das wunderschön am See gelegene heutige Midgard-Haus. Darum ist er - anders als seine Vorfahren - nicht in Berlin sondern in München gemeinsam mit seiner Gattin begraben. Wenn mich mein Weg an seiner letzten Ruhestätte vorbeiführt freue ich mich immer, dass ich ihn hier entdeckt habe.
























Quellen: Universitätsbibliothek Leipzig
Wikipedia
J.Thorwald: Macht und Geheimnis der frühen Ärzte

Dienstag, 12. Mai 2020

Ein Licht am Ende des Tunnels?



Mein Zeitgefühl ist dahin. Wenn man mich fragt wie lange ich nun schon aus Marokko zurück in Deutschland bin und mich fast nur in meiner Wohnung aufhalte, würde ich sagen: gefühlt ein halbes Jahr. Es sind aber 'nur' sieben Wochen. In der ersten Zeit kamen am Telefon noch die aufregenden Erzählungen über geglückte Heimreisen, dann sprachen alle von den Mühen ihres Hausarrestes. Besonders die Berufstätigen, die sich an das Arbeiten im 'home office' gewöhnen mussten, waren sehr erschöpft. Wie die Kaninchen auf die Schlange starrten wir alle auf die neuesten Zahlen: Neuinfektionen, Erkrankte, Todesfälle! Von den grauenhaften Bildern aus Norditalien geschockt hofften wir alle, dass Deutschland von einem solchen Geschehen verschont bleiben würde. Und so blieben wir brav zu Hause, besuchten niemanden, horteten Toilettenpapier und Nudeln. 


Spaziergängerin im Englischen Garten

Wie zum Hohn hatten wir den sonnigsten April aller Zeiten. Spazierengehen konnte ich schon, aber nur mit Mundschutz (dies war meine eigene Entscheidung).
Nachdem die schlimmsten Befürchtungen sich zum Glück nicht erfüllten verloren viele die Geduld. Unsere Lobbyisten und einige Politiker befeuerten in den TV-Sendungen das Gefühl es müsse schnell wieder auf 'normal ' umgeschaltet werden. 

Warten auf bessere Zeiten
Und so fing er an, der Wettlauf um die schnellste Lockerung aller Beschränkungen. Bayern - mein Bundesland - hat mit 341 die höchste Zahl von Infizierten pro 100.000 (Stand 12.5.20). In ganz Deutschland sind es 204, das nördliche Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ist mit 45/100.000 am wenigsten betroffen. So erscheint es mir als sinnvoll, dass in Bayern die Lockerungen etwas später kommen werden als in den anderen Teilen Deutschlands - auch wenn viele es nicht verstehen, dass in einem föderalen Staat unterschiedliche Regelungen möglich sein können.
Die schönste Sache für mich ist, dass ich MORGEN zum Friseur gehen darf - mit Maske und ohne den üblichen Kaffee- und Zeitungsservice - aber endlich werde ich die Wolle auf meinem Kopf los.
Schön ist auch, dass wir uns wieder mit Freunden treffen dürfen, wenn auch mit beschränkten Zahlen und immer mit aller Vorsicht - Abstand halten!

Alle Läden sind auf - aber die Bürger haben irgendwie die Lust am Einkaufen verloren, schließlich sind die wirtschaftlichen Auswirkungen der Seuche gewaltig. Zum Glück fallen die Menschen nicht in die absolute Armut. Eine Krankenversicherung haben natürlich alle Arbeitslosen und es gibt vielfältige Hilfen, für Firmen, Selbständige, Kurzarbeiter und Künstler. Die Schuldenberge, die da aufgebaut werden, werden noch unsere Enkel abzahlen dürfen.


all dies hat nicht stattgefunden!

Bis zum Ende des Monats sollen nach und nach die Restaurants und die Hotels geöffnet werden. Tierparks und Golfplätze sind auch schon offen. Nur für Kinos und Theater - und Bordelle - gibt es noch keine Ankündigung, wann es wieder los gehen kann.
Der größte Schock für Bayern war sicher, dass das Oktoberfest - das große Bierfest - wie alle anderen Volksfeste abgesagt wurde. Für mich ist das kein Verlust, aber die Münchner Hoteliers und Taxifahrer leiden da schon sehr. 

auch die Segler dürfen wieder aufs Wasser
Ja und nun - wie geht's mir dabei? Ich sehe mit Schrecken, dass viele Leute die Maskenpflicht beim Einkaufen sehr locker sehen: dass Kontaktsportarten wie Fußball wieder erlaubt sind; dass eine nicht unerhebliche Anzahl von rebellischen Bürgern ohne jede Vorsicht an Demonstrationen gegen die Freiheitseinschränkungen teilnimmt. Das norditalienische souveräne Gebiet Südtirol will für den Sommer den Tourismus auch aus Deutschland wieder erlauben. Auch Österreich, Kroatien und die Türkei wollen - wie so einige andere vom Tourismus abhängige Länder- wieder Gäste in ihren Hotels sehen. Es ist wie eine Wette, die wir miteinander abschließen. Wer gewinnt: die Mutigen oder das Virus? Wir werden es bald wissen - und ich hoffe für uns alle, dass meine hasenfüßige Besorgtheit nicht Recht bekommt.